Atmosphärisches Stillleben: Der Thriller 'Mädchenhenker' von Gunnar Schwarz liegt neben einem Smartphone, das ein düsteres Live-Video zeigt. Daneben eine Lupe, Notizen und Kaffee im Kerzenschein. Dark Academia Stil.

Mädchenhenker. Wenn der Bildschirm zum Tatort wird.

Mädchenhenker. Wenn der Bildschirm zum Tatort wird.

Wir leben in einer Ära der totalen Sichtbarkeit. Wir scrollen, wir liken, wir konsumieren. Doch was passiert, wenn sich zwischen die inszenierten Momentaufnahmen des Alltags das pure Böse mischt?

In Gunnar Schwarz’ Thriller „Mädchenhenker“ wird genau dieses Szenario zur beklemmenden Realität. Es ist keine fiktive Distanz mehr, die uns schützt. Ein Live-Video taucht auf den Feeds auf. Keine Spezialeffekte, keine Inszenierung – sondern die brutale Dokumentation einer Hinrichtung. Das Opfer: eine junge Frau. Das Publikum: die ganze Welt.

Für das Ermittlerduo Emma Bajetzky und Alex Kuper – die wir bereits aus dem Frauenkeller kennen – beginnt mit diesem digitalen Beweisstück ein Fall, der an die Substanz geht. Das Perfide an diesem Szenario ist die Diskrepanz zwischen Sichtbarkeit und Greifbarkeit. Während die Tat auf tausenden Bildschirmen flimmert und eine grausame Botschaft sendet, fehlt in der physischen Welt jede Spur. Kein Tatort. Keine Leiche. Nur das digitale Echo eines Verbrechens.

Gunnar Schwarz spielt hier meisterhaft mit einem modernen Ur-Angst-Gefühl: Der absoluten Ohnmacht. Wie fasst man einen Geist, der nur in Pixeln existiert?

Als kurze Zeit später ein zweites Video auftaucht, weicht die Hoffnung der Gewissheit: Wir haben es mit einem Serientäter zu tun. Doch anders als bei klassischen Motiven scheint hier die Zurschaustellung selbst der Zweck zu sein. Die Opfer wirken auf den ersten Blick willkürlich gewählt – unschuldige junge Frauen, deren einziger Fehler es war, zur falschen Zeit in den Fokus dieses Täters geraten zu sein. Oder gibt es ein Muster, das wir übersehen?

Die Frage nach dem Warum schwebt wie eine dunkle Wolke über den Kapiteln. Schwarz lässt uns lange im Unklaren und steigert die Spannung nicht durch laute Effekte, sondern durch die drängende Stille zwischen den Taten.

„Mädchenhenker“ ist kein Buch für schwache Nerven, aber es ist auch kein plumper Horror. Es ist ein Psychothriller, der uns den Spiegel vorhält: Wie voyeuristisch ist unsere Gesellschaft? Der Autor versteht es, den Druck minütlich zu erhöhen. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, bei dem man als Leser die eigene Atmung vergisst.

Meine Empfehlung: Für alle, die in den Schattenseiten der Literatur nicht nur Blut sehen wollen, sondern die psychologischen Abgründe dahinter suchen. Ein starker, moderner Fall für Bajetzky und Kuper.

Gedankenanstoß

Wie viel Realität verträgt unser Feed? Gunnar Schwarz hat mich mit diesem Buch definitiv dazu gebracht, meinen digitalen Konsum kritischer zu hinterfragen.

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